Samstag, 18. Oktober 2008

Leben ohne Fernsehen?

Marcel Reich-Ranicki könnte ohne Fernsehen leben. Zumindest tut er so, als ob. Er lehnt einen Preis ab, weil er die stundenlange Fadesse einer Preisverleihungs-Show nicht auf sich sitzen lassen kann. Tatsächlich ist es für einen 88-jährigen Menschen nicht so einfach, mehrere Stunden sitzend darauf zu warten, dass irgendetwas passiert, dann seinen Namen als Preisträger zu hören, und stehend eine Dankesrede zu halten, die er sich gerne erspart hätte. Doch er ist bei der Veranstaltung aufgetaucht, und musste dann also die Fadesse aushalten, der er sich so gerne entzogen hätte.

Nur wenige Tage später hat sich Marcel Reich-Ranicki im Fernsehen in einer eigenen Sendung mit Thomas Gottschalk getroffen, um über das Fernsehen zu sprechen. Anders als bei seinen sonstigen Fernseh-Auftritten kam Gottschalk fast intellektuell daher. Er verteidigte die Fernsehsender, welche der Quote verpflichtet wären. Sendungen mit intellektuellem Charme hätten kaum Chancen, von vielen Menschen gesehen zu werden, und die leichte, lockere Unterhaltung mag das non plus ultra der Fernsehlandschaft sein. Selbstverständlich verneinte der Literaturkritiker Reich-Ranicki alle Ansichten, die der Show-Krösus Gottschalk von sich gab. Er traue es Gottschalk durchaus zu, eine anspruchsvolle Sendung zu moderieren, bei der dann die Massen vor dem Fernsehbildschirm kleben bleiben würden. Warum immer nur seichte Unterhaltung?

Reich-Ranicki und Gottschalk kannten sich schon vor dieser kleinen Sendung. Sie begegneten einander sogar mal bei „Wetten…dass?“… Wer Marcel Reich-Ranicki zuhörte, könnte dem Glauben verfallen, das Fernsehen sei nur eine Verdummungsmaschine, und somit wäre es am besten, gar nicht erst einzuschalten, und stattdessen ein gutes Buch zu lesen. Natürlich gäbe es immer wieder gute Filme zu sehen, die einen gewissen Anspruch erfüllen. So etwa eine Dokumentation über Kissinger auf ARTE. Doch prinzipiell könne vom Fernsehen nicht viel erwartet werden.

Es gibt nicht wenige Menschen, die tatsächlich auf einen Fernseher verzichten, und sich stattdessen Radiosendungen hingeben, oder ein gutes Buch lesen. Es müsste genauer erforscht werden, ob diese Menschen auch auf das Internet verzichten. Früher haben die Menschen auch ohne Fernsehen leben können, also so schwierig kann dieses Unterfangen ja nicht sein, oder?

Ich gehöre zu jenen Menschen, die nicht wild herumzappen, und auf eine glückliche Fügung hoffen, dass mir irgendwann das meiner Gefühlslage entsprechende Programm zugespielt wird. Nein, ich setze mich mit dem Fernsehprogramm konstruktiv auseinander, und gestalte mir mein Programm selbst. Dadurch ist es mir möglich, meinen Interessen gemäß Fernsehbilder serviert zu bekommen. Es ist nicht alles „Qualitätsfernsehen“, was ich bevorzuge, doch auf vieles mag dieses Wörtchen zutreffen. ARTE und 3 SAT sind zwei meiner Lieblingssender, weil hier Kultur eine essenzielle Rolle spielt, ausgezeichnete Filme zu sehen sind, und Themenabende sowie Dokumentationen hintergründiges über Menschen, die in den weniger bekannten Winkeln der Welt leben, erzählen.

Könnte ich ohne Fernsehen leben? Ja, ganz sicher sogar. Aber ich schalte den Fernseher gerne an, und lasse mich auf Welten ein, die ich selbst gewählt habe. Warum sollte ich mich mit Talk-Shows („Hilfe, mein Nachbar wohnt nebenan!“), Ratesendungen oder Anti-Sänger-Wettstreitigkeiten abgeben? Wie im Internet auch habe ich die Möglichkeit, auszuwählen, was ich bevorzuge. Es existiert kein Zwang, mich dem Schwachsinn auszuliefern. Das dies viele Menschen tun will ich nicht bestreiten, aber diese Menschen haben auch eine Wahl getroffen. Wer wählt, muss dies für sich selbst verantworten. Das Fernsehen hat das Leben der Menschen dahingehend revolutioniert, weil sie Bilder aus allen Ecken und Enden der Welt sehen können, ein bisschen Bescheid wissen über die Lebensbedingungen anderer Menschen, die weit entfernt leben, und da nehme ich gerne in Kauf, dass Privatsender und sogar die Öffentlich-Rechtlichen unsinnige Sendungen im Programm haben.

Marcel Reich-Ranicki hat aus einer Maus einen Elefanten gemacht. Das Fernsehen ist nicht so schlecht, wie er es dem Fernsehpublikum vorgaukeln mag. Immerhin hat er mit dem „Literarischen Quartett“ die Möglichkeit gehabt, sogar der Literatur im Fernsehen einen ihr gebührenden Platz zu reservieren. Tatsächlich gibt es zahlreiche Literatursendungen (sogar der ORF hat seit kurzen wieder eine..), und damit müsste der 88-jährige Mann doch zufrieden sein? Nein, es existiert kein Elefant namens absolute Verdummungsmaschine, sondern nur eine Maus namens Fernbedienung. Wer sich dem Fernsehen entziehen will, der kann dies gerne tun. Ich keineswegs. Auch heute werde ich der kleinen Maus wieder huldigen. Und ich weiß schon, welche Kleidung diese gar nicht graue Maus trägt…

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