Samstag, 19. April 2008

Fußball-EM, Teil 1: Herz:Rasen

Im Vorfeld der Europameisterschaft in der Schweiz und Österreich gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm. Im Wiener Künstlerhaus sogar eine Ausstellung, die auf den schönen Namen Herz:Rasen hört, und einige Attraktionen zu bieten hat.

Ich habe mir von dieser Ausstellung nicht viel erwartet. Ärgerlich war im Endeffekt aber nur, dass noch technische Mängel gegeben waren, als ich mich in ein nicht vorhandenes Gewühl stürzte. Die Museums-Besucher konnte man fast an einer Hand abzählen, und es sollte mehrere Stunden dauern, bis wenigstens zwei Hände notwendig waren, und nahezu ein Fußballteam ohne Reservespieler hätte rekrutiert werden können. Ja, es verhielt sich sogar so, dass die Mitarbeiter und Zuarbeiter des Museums in der Überhand waren. In jedem Eck und auf allen möglichen Bühnen standen Techniker herum, und schleppten Inventar. Und eine Reinigungskraft staubsaugte ausgerechnet in der Schlachtgesang-Halle, wo sich Besucher als Supporter testen konnten.

Das tut jedoch nichts zur Sache, da ich gleich nach wenigen Metern in eine Welt hineingeriet, die ich insgeheim nie verlassen zu haben schien. An den Wänden und in Glaskästen prangten und lagen Hefte voll von Fußball-Erinnerungen, Panini-Alben, Jahres-Alben, einem Buchhalter abgetrotzte Bögen, die plötzlich als Fußball-Poesiealbum fungierten. Wo ist mein Panini-Album von 1982 hin verschwunden? Was geschah mit den Jahresalben meines Vaters? Wieso haben sich zwei mit sehenswerten Berichten vollgepfropfte Alben aus den Meisterjahren des Wiener Sportclub in Luft aufgelöst? Existieren sie vielleicht sogar noch irgendwo, und warten nur darauf, wieder aus den hintersten Winkeln hervorgeholt zu werden?
Ja, mit diesen wahnwitzigen Sammelleidenschaften von Fans wurde ich konfrontiert, und geriet ins Staunen. Viele Menschen, hauptsächlich Burschen und Männer, haben sich diesem Hobby verschrieben, und ein paar kleine Beispiele dafür konnte ich vor Ort besichtigen.

Nein, den Staubsauger wollte ich nicht hören, und auch nicht die Techniker sehen, die in der großen Halle herumgingen, mit Hämmern Nägel traktierten, und ansonsten gelangweilt in der Gegend herumstanden. Auf vier großen Leinwänden wurde „Spiel mir das Lied vom Tod“ gegeben, und eine Kongruenz in Form einer Fußball-Szene gesucht. Höhepunkte dieser Persiflage sind das Brutalo-Foul von Toni Schumacher, dessen Autobiographie (hat er die selbst geschrieben?) ich vor vielen Jahren gelesen habe, und der sensationell unbedeutende Siegestreffer der österreichischen Nationalmannschaft gegen die Bundesrepublik Deutschland in einer Stadt namens Cordoba.

Enormer Lärm belästigte meine Gehörgänge, während ich einen Film über ein Mädchen sah, das als Muslimin mit Kopftuch spielt, und von einer Karriere als Fußballerin träumt, die nur der Vater verhindern kann, wenn er auch noch darauf besteht, dass sie ihre Knie nicht herzeigen darf.

Es wusste wohl niemand, dass es einen Stock höher noch einen Teil der Ausstellung zu besichtigen gab. Dort liefen auch ein paar Filme ab. Die unglückliche und knappe 0:3 Niederlage des österreichischen Nationalteams gegen Deutschland wurde von einigen Kameraperspektiven aus gezeigt, was das Spiel auch nicht besser macht. Die Tragödien im Heysel-Stadion und in Hillsborough sind dokumentiert. Und ich werde Zeuge davon, dass sich doch noch – wenn auch bloß kurzfristig – zwei Menschen auf diese Ausstellungsfläche verirren, die sich jedoch bald als Mitarbeiter des Museums herausstellen.

Dreieinhalb Stunden habe ich in einer Ausstellung verbracht, die von erprobten Museumsbesuchern in einer knappen Stunde durchsprintet werden kann. Immer wieder verwundere ich mich darüber, wie schnell die meisten Menschen an mir vorüberziehen, und sich nicht mal die Mühe machen, genauere Informationen zu lesen und die ausgestellten Objekte abseits der Oberflächlichkeit zu betrachten. Ja, die Eindrücke ziehen vorbei wie eine kleine Ahnung von der großen Welt. Ich aber bin eingestimmt auf die Europameisterschaft und lasse es mir nicht nehmen, die kleinen Freuden eines österreichischen Fußballfans zu genießen. Die Ausstellung ist mittlerweile vielleicht sogar schon fertig gestellt, und es gibt keine Störgeräusche mehr. Dennoch rauschen die kleinen oder größeren Menschenmassen großteils unreflektiert durch die Hallen, oder handelt es sich nur um perfekte Körpertäuschungen?

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