Mittwoch, 26. März 2008

Dekalog

Es ist unglaubliche 18 Jahre her, als ich mir an späten Abenden im Laufe einiger Wochen den „Dekalog“ von K. Kieslowski im österreichischen Fernsehen ansah. Nach einem Arbeitstag, und der Abendschule brachte ich das Kunststück zuwege, noch auf der Donauinsel zu flanieren, ehe ich schließlich in meinem Elternhaus landete, und zur Abrundung des langen Tages die Verfilmung der „Zehn Gebote“ nicht versäumen wollte.

Aus dem Abstand von so vielen Jahren wirkten einige der zehn Episoden fast befremdlich. So etwa jene Geschichte, bei der ein hochintelligenter Knabe seinem Vater, der Mathematiker ist, so sehr vertraut, dass er dessen Berechnungen auf einem (furchtbar antiquiert wirkenden) Computer für bare Münze nimmt, und somit die Belastbarkeit einer Eisdecke genau in jenem Rahmen austestest, die keine Gefahr für das eigene Leben darstellen soll. Doch das Unfassbare geschieht, und der Junge bricht im Eis ein, und kommt dabei zu Tode. Der Vater will das einige Stunden nicht wahrhaben, da er seine Berechnungen als gesicherte Tatsachen betrachtet. Der Computer, der auch als Fernsteuerung der Wasserhähne dient, ist letztlich aber doch fehlbar, wobei der Mann zu spät erkennen mag, dass es seine eigene Fehlbarkeit ist, die seinem einzigen Sohn zum Verhängnis wurde.

Kurios die allerletzte Episode, welche zwei Brüder in den Blickpunkt setzt, deren Vater gestorben ist, und die eine Briefmarkensammlung erben, deren Wert offenbar mehreren Einfamilienhäusern und einem Düsenjet entspricht. Um in den Besitz einer spezifischen Marke zu gelangen, opfert der ältere Bruder sogar eine Niere, nur um schließlich feststellen zu müssen, dass die gesamte Briefmarkensammlung in der Zwischenzeit gestohlen wurde. Dann beschuldigen sich die Brüder gegenseitig, sich mit den Marken aus dem Staub gemacht zu haben. Doch es sind – wie sie feststellen müssen – andere Menschen am Verschwinden der wertvollen Sammlung beteiligt. Und am Ende beginnen die beiden jeweils eine neue Briefmarkensammlung aufzubauen, die erstaunlicherweise mit dem haargenau gleichen Markensatz beginnt.

Der Dekalog hatte mich als junger Mann fasziniert, und die filmische Umsetzung der „zehn Gebote“ finde ich nach wie vor erstaunlich. Das Befremdliche ist die Zeit, die ins Land gezogen ist, und vielerlei einzelne Aspekte heute von einem anderen Standpunkt aus betrachten lässt. Nicht nur die Filme sind nicht mehr taufrisch, auch ich bin um viele Jahre älter, und mit Sicherheit kritischer geworden, was die Beurteilung von künstlerischen Arbeiten verschiedenster Ausprägung betrifft. Ein wenig enttäuscht war ich darüber, dass ARTE „Eine kleine Geschichte über die Liebe“ und „Eine kleine Geschichte über das Töten“ nur in der Fernsehfassung zeigte, sodass jeweils fast 30 Minuten weniger Filmmaterial gezeigt wurde. Gerade diese beiden Filme hatten mich seinerzeit aufgrund der Bedingungslosigkeit der Protagonisten in den Bann gezogen. Ein junger Mann ist verliebt, und gerade weil er weiß, dass er die Dame seines Herzens nicht erobern kann, reagiert er auf Annäherungsversuche ihrerseits (nachdem er sie über ein Jahr mit dem Fernrohr in all ihren Intimitäten beobachtet hatte) reserviert, und schneidet sich aus Liebeskummer die Pulsadern auf. Als seine große Liebe ihn an seinem Arbeitsplatz besucht, sagt er nur kurz: „Ich beobachte Sie nicht mehr.“ Hier ist die kürzere Version zu unausgewogen, und manchmal wird sogar sichtbar, dass die eine oder andere Szene weggeschnitten wurde, wenn die Schnitte allzu untypisch erfolgen. Ähnliches lässt sich zu dem Gewaltverbrechen schreiben, das ein junger Mann begeht, der schließlich in der Todeszelle landet, und dessen Leben am Galgen endet. Dieses grausame und doch stille Plädoyer gegen die Todesstrafe verliert in der kürzeren Version an Dynamik und spart einige Szenen auf, welche der genaueren Reflexion des Anwaltes und des Todeskandidaten dienlich wäre.

Allein schon die Idee von K. Kieslowski, die „zehn Gebote“ als Dekalog zu verfilmen fand ich in meiner Jugend erstaunlich. Der Zufall brachte es mit sich, dass ich im Jahre 2006 in Oppeln ein kleines Büchlein in die Hände bekam, das sich mit dem Leben und dem Schaffen des zu jung gestorbenen Regisseurs beschäftigt. Schade nur, dass die DVD-Edition sehr teuer ist, und zudem – sonst wäre ein Ankauf vielleicht denkbar – keinerlei Zusatzmaterial enthält.

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